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Diversity Management als Wirtschaftsfaktor: Diversity am Arbeitsplatz ist ein Schatz

von | Aug 12, 2019 | Arbeitswelt im Wandel

Astrid Weinwurm-Wilhelm ist systemische Coach- und Organisationsberaterin. In den letzten Jahren hat sie ihren Schwerpunkt Richtung Diversity und Diversity Management entwickelt. Mit SPENDIT sprach sie über die Vielfalt als wichtigen Wirtschaftsfaktor für ein Unternehmen und erklärt, warum der Mensch in seiner ganzen Persönlichkeit, inklusive seiner sexuellen Orientierung und kulturellen Herkunft, bei der Arbeit wertgeschätzt werden möchte – und sollte.

Frau Weinwurm-Wilhelm, warum wurde das Thema „Diversity am Arbeitsplatz“ zu Ihrem Thema?

Über mein Ehrenamt. Ich bin die Präsidentin der Queer Business Women, einem Netzwerk zur Förderung lesbischer Frauen in der Arbeitswelt. Wir tragen dazu bei, dass sich lesbische Frauen in ihrem Selbstverständnis entwickeln und sich austauschen können, wir vernetzen die Frauen untereinander und wir arbeiten ganz viel mit Unternehmen und Organisationen, um zu verdeutlichen, dass die Dimension sexuelle Orientierung nicht eine Tatsache ist, die vor der Bürotür abgegeben werden kann, sondern ein Teil unserer Persönlichkeit und Identität ist. Aufgrund dieses sehr intensiven Engagements habe ich festgestellt, wie wenig es da noch gibt. Daher habe ich meinen Schwerpunkt auf Diversity am Arbeitsplatz gelegt. Ich mache also Führungskräftetraining, Teamentwicklungen zum Thema und habe mit einer Kollegin gemeinsam das Spiel des Arbeitslebens entwickelt.

Ein Spiel? Wie muss man sich das vorstellen?

Das ist ein interaktives Diversity-Trainingsformat mit einem 3 mal 3 Meter großen Spielfeld, das mit 250 Fragen über alle Diversitätsdimensionen arbeitet.  Dabei nehmen wir spielerisch die Perspektiven aus den verschiedenen Diversitätsdimensionen ein und durch dieses Eintauchen in andere Dimensionen können wir ein Verständnis dafür entwickeln.

Was ist das Wichtigste beim Diversity Management? Warum sollte sich ein Unternehmen um dieses Thema kümmern?

Am Anfang steht für mich die Erkenntnis, dass Vielfalt ein Schatz ist, eine Ressource – und die können wir nutzen.

Inwiefern?

Wir können uns damit nicht nur als Unternehmen positionieren – Stichwort Employer Branding – sondern auch bessere Lösungen generieren, indem wir Produkte näher an den Bedürfnissen der Zielgruppe zu entwickeln. Wir können als Unternehmen die Loyalität der Mitarbeiter steigern, die Fluktuation und Recruitingkosten in den Griff bekommen. Und letztlich auch den Erwartungen der Mitarbeitergruppe, der sogenannten Millennials, gerecht werden.

Was haben die Millennials denn für Erwartungen an ihr Unternehmen?

Auch wenn die Mitarbeiter selbst jung, männlich und weiß und deshalb theoretisch nicht von Diskriminierung betroffen wären, erwarten diese Millennials ein weltoffenes, wertschätzendes Arbeitsumfeld. Sie erwarten außerdem, dass das Unternehmen seine Unternehmenskultur so gestaltet, dass sich alle Menschen mit ihren Diversitäts-Dimensionen einbringen können und am Arbeitsplatz wohlfühlen.

Ist das Thema in deutschen oder österreichischen Unternehmen schon angekommen?

In so gut wie allen Branchen und auch unabhängig von der Unternehmensgröße gibt es Unternehmen, die schon weiter sind oder manche, die da noch nicht hingeschaut haben. Unternehmen oder Konzerne mit US-Hintergrund beschäftigen sich schon länger mit dem Thema. Z.b. IBM als vielzitierter Klassiker. IBM ist auch in Österreich sehr groß und hat jetzt 15 Jahre EAGLE Group – firmeninterne LGBT-Group (Anmerk. der Red.: engl. Abkürzung für lesbian, gay, bisexual, transgender) gefeiert. Meist beginnen die Unternehmen mit den Dimensionen, die für sie ganz logisch sind. In männerdominierten Branchen beginnen die Unternehmen oft mit dem Thema Gender. Frauen sollen überspitzt gesagt nicht nur in Assistenzpositionen, sondern auch in verantwortungsvollen Positionen tätig sein. Der Schritt hin zur sexuellen Orientierung ist oft noch nicht geschafft, unabhängig von der Branche. Auch der Schritt Generationsmanagement, wo es darum geht, dass ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bis zum Ausscheiden in der Organisation interessante und fordernde Aufgaben erfüllen können. Häufig fehlt das Bewusstsein dafür, dass auch junge Menschen diskriminiert werden können, weil sie, aufgrund ihres angeblich zu jungen Alters, nicht in Führungspositionen gelangen.

Erst wenn Unternehmen sich mit den „weniger heiklen Themen“ beschäftigt haben, werden Themen wie Ethnie und sexuelle Orientierung in den Fokus gerückt.

Das Thema Behinderung ist aufgrund der starken Gesetze meistens gut geregelt. Bedeutet aber nicht, dass viele Menschen mit Behinderung eingestellt werden, sondern die Ausgleichstaxe immer als Hintertüre verwendet wird. Die Ausgleichstaxe ist vernachlässigbarer Budgetposten, ist günstig zu haben und bedeutet natürlich, dass es keine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft geben kann. Erst wenn Unternehmen sich mit den „weniger heiklen Themen“ beschäftigt haben, werden Themen wie Ethnie und sexuelle Orientierung in den Fokus gerückt. Da kommen wir dann schnell zu einer weiteren Frage: Können Ethnie und Religion voneinander entkoppelt werden? Das ist nicht so ganz klar und Unternehmer oder Führungskräfte müssen sich fragen: Stellen wir einem muslimischen Mitarbeiter einen Gebetsraum zur Verfügung? Raucher können fünfmal am Tag rauchen gehen, aber darf eine Muslima fünfmal am Tag beten?

Welche Fragen stellen sich beim Tabuthema „sexuelle Orientierung“?

Die sexuelle Orientierung wird sehr häufig als Privatsache verstanden oder missverstanden – sie wird verwechselt mit sexuellen Handlungen. Letztere sind tatsächlich Privatsache, die sexuelle Orientierung ist aber Teil unserer Identität. Ich kann mich nur mit meiner ganzen Persönlichkeit in ein Unternehmen einbringen, wenn ich mich nicht verbiegen muss, wenn ich mich nicht verleugnen muss. Stellen Sie sich vor, Sie sind heterosexuell und niemand soll das wissen: Was erzählen Sie am Montagmorgen in der Kaffeeküche? Wenn du als heterosexuelle Frau nicht von deinem Wochenende erzählen kannst, was du mit deinem Mann und den Kindern gemacht hast, dann ist das anstrengend. Und bindet irrsinnig viel Energie, die unter anderen Umständen Teil der Arbeitsleistung wäre. Heterosexuelle Menschen outen sich ständig. Sie haben ein Familienfoto am Schreibtisch oder als Bildschirmhintergrund. Und nicht heterosexuelle Personen überlegen sich jeden Tag, ob sie von ihrem gleichgeschlechtlichen Partner oder Partnerin erzählen oder über die Themen in diesem Kontext sprechen, die sie interessieren.

Sind denn wirklich noch so viele betroffene Mitarbeiter nicht geoutet und verschweigen ihren lesbischen, schwulen oder bisexuellen Alltag?

Studien haben herausgefunden, dass nur 25 Prozent der Betroffenen am Arbeitsplatz out sind. Das heißt, dass 75 Prozent nicht geoutet sind.

Was bedeutet das für das Team, den Arbeitsplatz, die Kollegen und die Betroffenen, wenn sie ihr Privatleben aus Sorge vor Diskriminierung nicht mit in die Küchengespräche einbringen?

Ich begebe mich ins soziale Aus, weil ich nichts von mir erzähle. Dadurch werde ich natürlich auch unsichtbar im Team. Gerade in Bezug auf die kulturelle Übereinstimmung zwischen Bewerbern und Arbeitgebern, dem so genannten Cultural Fit, kann dies problematisch sein. Ich bin eine, die still vor sich hinarbeitet, ich erzähle nichts, bin sehr knapp, die offizielle Aussage „Ich trenne Beruf und Privates“, ist irgendwie ein bisschen unsympathisch. Bei Karriereentwicklungen werde ich einfach übersehen. Weil „die ist ja kein Teamplayer, die redet nicht, ich glaube, die ist schlecht in der Kommunikation.“, sind die Vermutungen, die Andere über mich anstellen.

Wie kann das geändert werden?

Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen die Voraussetzungen schaffen müssen, also den Rahmen schaffen müssen, damit die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen diesen Rahmen nutzen können. Wenn sie sich sichtbar und wertgeschätzt fühlen, wenn sie sich beachtet fühlen, dann können sie sich auch entfalten und können sich mit dem gesamten Potenzial, das sie haben auch einbringen. Sonst geht immer ein Teil dieses Leistungspotenzials in Versteckspielen oder Parallelweltkonstruktionen auf und fehlt für die Arbeitsleistung.

Ist dafür ein Bewusstsein in den HR-Abteilungen und den Unternehmen vorhanden?

In meiner beraterischen Tätigkeit erlebe ich immer mehr, dass inzwischen auch traditionelle Branchen wie Banken oder Versicherungen aktiv mit dem Thema Diversity am Arbeitsplatz beginnen und auch die, als Tabuthema angesehene Dimension, sexuelle Orientierung angehen, sprich, sich diesem Thema als Herausforderungen der HR Branche, annehmen.

 

 

Wie sollten sich Unternehmen und die HR diesem Thema nähern? Welche Tipps geben Sie?

Man kann beispielsweise mit Workshops beginnen, die zunächst einmal Interessierte an die eine oder andere Dimension heranführen und aus denen heraus sich dann Arbeitsgemeinschaften entwickeln. In deren Folge wird an Maßnahmen gearbeitet, die dann in die Organisation getragen werden. Mein Credo ist, dass nicht an oberster Stelle im stillen Kämmerlein geschnitzt werden soll, sondern dass die Belegschaft mit einbezogen werden muss.

Parallel dazu wird in Mission Statements oder Leitbildern erarbeitet, was die Werte sein sollen, die das Unternehmen transportieren will und deren Mittragen von der Belegschaft erwartet wird.

In Onboarding Prozessen kann bspw. diese Haltung mittransportiert werden – neue Mitarbeitende sollen von Beginn an wissen, wie das Unternehmen „tickt“, wie sich Mitarbeitende engagieren können in Bezug auf z.B. Business Ressource Groups – also firmen interne Netzwerkgruppen zu verschiedenen Themen und auch, an wen sich Betroffene im Fall des Falles wenden können – mit der Sicherheit, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird. 

Viele Unternehmen scheuen vielleicht den Aufwand das Thema Diversity Management und Vielfalt anzugehen.

Das Thema Diversity-Management wird tatsächlich oft als Riesenbrocken gesehen. Man glaubt: Da müssen zuerst strategische Entscheidungen getroffen werden, da braucht man ein Budget, dann dauert es noch Jahre bis überhaupt irgendein Plan steht. Und dann braucht es noch drei Jahre bis es überhaupt ausgerollt wird. Dabei kann jede Person für sich beginnen. Unabhängig davon, ob ich Teamleiterin bin oder eine Mitarbeiterin. Wenn ich meinen Horizont erweitere, mich für verschiedene Kulturen oder die Lebensweisen der Kolleginnen interessiere. Wenn ich bspw. weiß, wann wichtige Feste in den Kulturen stattfinden, kann ich damit Wertschätzung zeigen. So kann ich doch beispielsweise der jüdischen Kollegin zum Pessachfest gratulieren oder dem muslimischen Kollegen zum Zuckerfest nach dem Ramadan. Das sind Mini-Gesten, die aber eine große Wirkung haben.

Oder nehmen wir das klassische Personenstammdatenblatt, das neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausfüllen müssen. Welche Familienstände sind hier angeführt? Gibt es die eingetragene Partnerschaft (EP) und die geschiedene EP, oder kennt die HR-Abteilung nur verheiratet, ledig und geschieden?

  

Zahlt sich konsequentes Diversity Management für ein Unternehmen aus?

Für mich ist das wirtschaftliche Argument ausschlaggebend dafür, dass sich Unternehmen damit beschäftigen. Aber die Konsequenz ist nicht eine rein wirtschaftliche, sondern auch eine soziale. Sie bedingen einander. Zufriedene Mitarbeiter sind Mitarbeiter, die sich am Arbeitsplatz nicht diskriminiert fühlen. Sie sind wesentlich motivierter. Die wirtschaftliche Konsequenz daraus: Sie arbeiten besser und mehr. Sie haben eine höhere Produktivität und Effektivität. Sie sind zufriedener, loyaler, sie fühlen sich an das Unternehmen gebunden. Das ist gut fürs Image, Stichwort: Employer-Branding. Und die HR-Abteilungen sollten wissen, dass heterogene Teams innovativere Lösungen entwickeln als homogene. Wenn es um Dynamiken des Marktes geht, oder der Zielgruppen, oder um die Ausweitung der Geschäftstätigkeiten auf neue Märkte, oder Weiterentwicklung in den Produktgruppe, dann empfiehlt es sich verschiedene Perspektiven einzunehmen. Und das können diverse Teams einfach besser. Deswegen ist es für mich ein perfektes Gefüge. Ich investiere in mein Unternehmen und in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit wir gemeinsam und zusammen erfolgreich sind. Das ist es.
Vielen Dank Frau Weinwurm-Wilhelm für die spannenden Eindrücke und Erkenntnisse zum Thema Diversity Management.

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 Carmen Windhaber

Carmen Windhaber

Autorin

Carmen bringt österreichischen Flair und hochkarätige Expertenkontakte in unser Autorenteam! Sie hat als Country Managerin Österreich die XING AG in Wien aufgebaut und vernetzt heute Unternehmen im Bereich der Digitalisierung. Aus brandaktuellen Themen spannende Geschichten machen und darüber schreiben – das ist ihr Metier! Sie ist auch Mitherausgeberin des Digital Business Leader sowie Mitglied des Beirats der Spendit AG.

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